Erfolgreich: Radiochirurgie in Norddeutschland
Aller Anfang ist schwer, besonders die Einführung neuer Medizintechnik und neuer Behandlungsmethoden in die klinische Routine. Dabei ist die Radiochirurgie keine wirklich neue Behandlungsmethode. Die erste radiochirurgische Behandlung wurde bereits 1948 von Dr. Leksell in Schweden durchgeführt. Seit dem ist viel geschehen und die Etablierung der Radiochirurgie als anerkannte klinische Methode dauert immer noch an. Derzeit nur als Randbereich der Medizin angesehen, ist die Radiochirurgie weder eine chirurgische Operation mit einem klassischen Skalpell noch entspricht sie dem grundsätzlichen biologischen Ansatz der Strahlentherapie, bei der mit portionierter Strahlendosis Tumore nach und nach über einen längeren Zeitraum hinweg zerstört werden. Die Radiochirurgie basiert vielmehr darauf, dass hochfokussierte Strahlen mit sehr hoher Einzelstrahlendosis abgegeben werden, um Ziele (insbesondere Tumore) mit einem Mal vollständig auszulöschen. Dabei kommt es nicht nur auf die Höhe der Dosis an, sondern vor allem auf die Präzision der Behandlung, da mit hoher Strahlendosis auch gesundes Gewebe stark in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Wir wollen nun beschreiben, wie sich die Radiochirurgie auch und im Besonderen in Norddeutschland gewandelt hat und wie hier die neue CyberKnife Technologie in die klinische Praxis eingeführt wurde. Vor allem von Interesse ist dabei, welche Indikationen derzeit mit dieser Therapiemethode und mit welchen Erfolgen behandelt werden können.
Geschichtliches: Die Hochpräzisions-Hochdosis-Strahlentherapie hat in der Literatur viele Namen: Stereotaxie (griechisch: räumlich gezielt), Strahlenchirurgie, Radiochirurgie, Hypofraktionierte (wenig portionierte) Strahlentherapie, um nur einige zu nennen, aber der Gedanke bleibt der gleiche: Ähnlich wie bei einem klassischen operativen Eingriff werden mit hoher Einzel-Strahlendosis die Tumorzellen mit einem Mal zerstören, dies jedoch von außen und ohne den Patienten berühren zu müssen. Wir verwenden gerne den Begriff Radiochirurgie, da dieser, aus dem englischen „Radiosurgery“ abgeleitet, sich weltweit etabliert hat.
Die ersten Gehversuche mit der Radiochirurgie fanden 1948 in Schweden statt. Die Operationsmöglichkeiten im Kopf waren damals noch nicht so ausgereift wie heute, so dass eine Alternative zur traditionellen Operation durchaus interessant war. Der Neurochirurg Lars Leksell hatte diese alternative Idee und entwickelte zeitnah ein spezielles System zur radiochirurgischen Behandlung von Kopftumoren, bei dem der Kopf selbst mit einem speziellen, starren Rahmen fixiert werden mußte: Das GammaKnife™ (Elekta, Schweden). Dass diese Entwicklung durch einen Chirurgen vorangetrieben wurde, deutet aber auch bereits das hierin liegende potentielle Konfliktpotential zwischen den einzelnen Fachrichtungen an, da doch Bestrahlungen vornehmlich den Strahlentherapeuten (bzw. damals den Radiologen) vorbehalten waren. Das Konzept der Einmaldosis sprach auch eher die Chirurgen an, da sie generell ungern zwei- oder mehrmals ein und denselben Krankheitsherd operieren. Das GammaKnife ist noch heute und auch in Deutschland im Einsatz, jedoch findet es zunehmend weniger Zuspruch, so dass derzeit nur noch 3 private Zentren mit Neurochirurgen Patienten mit dem GammaKnife behandeln (Krefeld, Frankfurt, Hannover).
Parallel zum GammaKnife erfolgte die Entwicklung spezieller Anbauten für konventionelle Linearbeschleuniger (Bestrahlungssysteme), die hauptsächlich für spezielle strahlentherapeutische Anwendungen eingesetzt wurden. Zu den ersten großen radiochirurgischen Zentren in Deutschland gehörten vor allem die Universitätsklinik Köln und die Universitätsklinik zu Lübeck.
Robotergestützte Radiochirurgie: Als Schüler Leksells konzipierte 1987 der Neurochirurg John Adler aus der renommierten Stanford Universität (USA) ein neues revolutionäres System: Das CyberKnife™ (Accuray, USA). Herausgefordert von den Nachteilen anderer Systeme, wie Patientenfixierungen, Inflexibilität bei Patientenbewegungen und limitierende Einstrahlrichtungen entwickelte er zusammen mit dem Ingenieur Achim Schweikard, heute Direktor des Robotik-Instituts der Universität zu Lübeck, ein robotergestütztes bildgeführtes Bestrahlungssystem, welches die Radiochirurgie langfristig verändern sollte. Bis heute gewinnt die Radiochirurgie weltweit immer mehr an Bedeutung. Dabei ist das CyberKnife eines der modernsten und präzisesten Geräte zur Radiochirurgie, welches durch eben jene Robotersteuerung und durch die spezielle Bildführung eine Sub-Millimeter-Genauigkeit bei der Behandlung vieler solider Tumorarten im ganzen Körper ermöglicht. Es ist zudem auch das System mit dem höchsten Patientenkomfort, da es keinerlei Fixierung benötigt. Eine Fraktionierung der Dosis auf einige wenige Sitzungen, was bei großen oder gutartigen Tumoren durchaus sinnvoll ist, ist mit dem CyberKnife ohne Probleme möglich. Das System passt sich im Gegensatz zu allen anderen Systemen dem Patienten genauestens an. Durch Abgabe hochenergetischer hochfokussierter Strahlen aus vielen wechselnden Einstrahlrichtungen wird eben jene zerstörerische Wirkung auf die Krebszellen entfaltet, die eine Radiochirurgie im ureigensten Sinne ausmacht. Durch die hohe Präzision des CyberKnifes wird das umliegende gesunde Gewebe dabei bestmöglich geschont. Als einziges System weltweit ist es durch spezielle Computersteuerung sogar in der Lage, während der Bestrahlung atmungsbedingte Bewegungen im Körper, zum Beispiel in Lunge und Leber, auszugleichen. Risikoarm und schonend folgt der Roboterkopf der Atmung und platziert die Strahlung exakt im Tumor, so dass dieser punktgenau und effektiv zerstört werden kann.
Entwicklungen in Deutschland: Das CyberKnife und auch die Radiochirurgie sind heute in aller Munde. Das war nicht immer so. 1994 wurde der erste Patient mit dem CyberKnife behandelt, aber es dauerte noch 15 Jahre, bis der Durchbruch der Technologie kam. Dies liegt zum einen an den erst kürzlich publizierten guten klinischen Ergebnissen der Radiochirurgie, aber auch an der jüngst verbesserten Technik selbst. Erst 2004 wurde zum Beispiel der spezielle Atemausgleich des CyberKnife in die klinische Praxis eingeführt und seit 2008 ist richtig klar, dass die Behandlung von Lungentumoren im frühen Stadium mit der Radiochirurgie so effektiv ist. In den USA ging die CyberKnife-Einführung schneller voran, ist doch die (in aller Regel ambulante) Behandlung sehr viel kürzer – was für die Patienten attraktiv ist, und im Verhältnis zu traditionellen Behandlungsmethoden günstiger – was besonders die Krankenkassen erfreut. So erscheint es nicht unlogisch, dass mehr als die Hälfte aller CyberKnife-Systeme, derzeit 270 weltweit, in den USA stehen. In Deutschland gibt es erst seit 2005, mehr als ein Jahrzehnt nach der ersten Behandlung, ein CyberKnife Zentrum in München. Und das, obwohl die Radiochirurgie mit GammaKnife und speziellen Linearbeschleunigern bereits verbreitet war. Es mag unter Umständen an der zunächst fehlenden Kostenübernahme durch die Krankenkassen, an fehlenden Investitionen und großen klinischen Studien der Universitätskliniken gelegen haben – Fakt ist, dass die Radiochirurgie erst 2011 wirklich flächendeckend Fuß fassen konnte. Das ist vor allem auf den Bau und die Inbetriebnahme privatwirtschaftlich errichteter CyberKnife Zentren, aber auch die nun doch vermehrte Übernahme der CyberKnife Behandlungskosten durch die Krankenkassen zurück zu führen. Von 2010 bis 2012 wurden weltweit mehr Patienten mit dem CyberKnife behandelt und mehr CyberKnife-Systeme installiert, als in den gesamten 16 Jahren zuvor. Alleine in Deutschland entstanden 7 neue Systeme.
Entwicklungen in Norddeutschland: In Deutschland herrschte bezogen auf die Radiochirurgie seit langem ein starkes Nord-Süd-Gefälle . Während in Bayern und im Rhein-Main-Gebiet Radiochirurgie und auch CyberKnife schon seit längerem eingesetzt wurden, ging es in Norddeutschland eher schleppend voran. Die diesbezügliche Technikausstattung der Uni-Kliniken war bis vor kurzem eher schlecht – trotz der vielen CyberKnife Entwicklungen aus Lübeck, so dass die Radiochirurgie im ganzen Körper einfach nicht richtig angewendet werden konnte. Dabei müssen sich die Norddeutschen wirklich nicht verstecken, denn ihre technischen und medizinischen Expertisen sind exzellent. Dennoch dauerte es Jahre – fünf, um genau zu sein nach München, bis das erste CyberKnife in Norddeutschland in Betrieb genommen werden konnte. Nach langem Hin und Her wurde dann ein auch weltweit einmaliges Projekt gestartet: Ein durch Privatinvestoren getragenes und durch die Landesregierung unterstütztes Medizinprojekt mit multipler universitärer Leitung auf der grünen Wiese entstand, das CyberKnife Zentrum Norddeutschland in Güstrow. Ein Projekt, was wirklich nur funktioniert, wenn alle mitmachen. Bedingt durch die fehlenden Investitionen der Universitätskliniken und Länder, ein CyberKnife kostet immerhin mehr als 4 Millionen Euro, wurde entschieden, dass für die Universitäten Rostock, Greifswald, Lübeck und Kiel ein gemeinschaftliches Zentrum mit einem Wissenschaftlichen Beirat, geleitet durch Prof. Dr. med. Dr. h.c. (mult.) Horst Klinkmann, F.R.C.P., entstehen sollte, damit die Radiochirurgie auch in Norddeutschland mit der neusten Technologie angeboten werden kann. Heute besteht der Beirat des CyberKnife Zentrums Norddeutschland aus 13 Professoren der Universitäten und Universitätskliniken Lübeck/Kiel, Rostock und Greifswald, sowie Ärztlichen Direktoren großer Krankenhäuser in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Auf der Basis des CyberKnife Zentrums in Güstrow wird fleißig gemeinschaftlich geforscht: Prof. Dr.-Ing. Achim Schweikard entwickelt neue CyberKnife-Technologien und Prof. Dr. med. Jürgen Dunst, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) und Prof. Dr. med. Guido Hildebrandt, Direktor der Strahlentherapie an der Uniklinik Rostock führen gemeinsam klinische Studien zu Leberbehandlungen durch. Und natürlich werden auch und vor allem Tumor-Patienten behandelt. Im ersten Jahr waren es 171 Patienten, ca. 50% intrakranielle und 50% extrakranielle Behandlungen, was nach der Statistik zu urteilen genau im mittleren Schnitt aller CyberKnife Zentren weltweit liegt. Bis heute hat das Güstrower Zentrum weit über 300 Patienten mit den unterschiedlichsten Erkrankungen therapiert, nach neusten Erkenntnissen und nach den neusten internationalen klinischen Protokollen.
Behandlungsspektrum: Radiochirurgie, zum Beispiel mit dem GammaKnife, war klassisch auf Hirnmetastasen und einige andere Kopftumore beschränkt. Erst seit dem CyberKnife wird die Behandlung außerhalb des Kopfes wirklich vermehrt durchgeführt. Zu den Indikationen einer CyberKnife Radiochirurgie zählen natürlich auch gut- und bösartige Kopf-Tumore, daneben Wirbelsäulen-Tumore, Tumore der Lunge und der Leber und in einzelnen Fällen auch Tumore im Auge, an Prostata, Niere und Bauchspeicheldrüse sowie Gefäß-Malformationen im Kopf und an der Wirbelsäule und die Trigeminus-Neuralgie. Neuste Forschungsstudien untersuchen derzeit den Einsatz der CyberKnife Radiochirurgie bei Tremor, Depression und sogar bei Herzrhythmusstörungen. Das CyberKnife wird häufig als Primärtherapie aber auch in Kombination mit anderen Behandlungsverfahren, wie Chemotherapie oder Operation und als letzte Behandlungsmöglichkeit nach (multiplen) Vorbehandlungen eingesetzt. Ein interdisziplinäres Tumor-Team aus Spezialisten sollte immer an einer Behandlungsempfehlung für die CyberKnife Radiochirurgie beteiligt sein. Am Zentrum in Güstrow sind es ausschließlich die Tumorboards der kooperierenden Universitäten und großen Krankenhäuser, die eine Behandlungsempfehlung aussprechen. Das CyberKnife Zentrum Norddeutschland steht somit für alle offen, gleichgültig ob Patient oder Arzt oder Forschungseinrichtung.
Erfolgsaussichten: Der wirkliche Erfolg der Radiochirurgie ist jedoch erst seit einigen wenigen Jahren bekannt. Gibt es zum Beispiel in Deutschland nicht einmal eine Leitlinie oder eine Empfehlung der Fachgesellschaften zur Radiochirurgie, ist die Radiochirurgie in anderen Ländern wie den USA, Japan oder Holland bereits etablierter Standard für einige Tumorarten. Das Behandlungsspektrum für Radiochirurgie bleibt aber trotz der CyberKnife-Technologie derzeit in Deutschland eher klein. Werden z. Z. in Deutschland nur 2-3% aller Krebspatienten mittels Radiochirurgie behandelt, sind es in Holland und in den USA bald mehr als 10%. Und die Erfolge sprechen für sich. Als kurative Behandlungsoption für gutartige Erkrankungen ist das CyberKnife in einigen Fällen, wie der Behandlung von Akustikus-Neurinomen, sehr effektiv und steht anderen Behandlungsansätzen in keiner Weise nach. Dabei ist die Radiochirurgie gerade im Vergleich zur klassichen Operation in vielerlei Hinsicht nebenwirkungsärmer. Bei primären früh erkannten Lungentumoren ist für inoperable Patienten sogar in sehr vielen Fällen eine kurative Behandlung, also Heilung möglich. Dies war früher in der Kombination von konventioneller Bestrahlung und Chemotherapie nur in deutlich wenigen Fällen denkbar. Und auch hier sind die Nebenwirkungen durch den CyberKnife Atemausgleich sehr gering. In den USA wird derzeit sogar die Operation randomisiert mit dem CyberKnife verglichen. Die Ergebnisse in der Leberbehandlung sehen ähnlich vielversprechend aus, besonders, wenn Chemotherapie nicht mehr anspricht. Zu diesem Thema wird derzeit am Zentrum in Güstrow eine klinische Studie durchgeführt. Auch als palliative Behandlungsmethode, zum Beispiel bei Metastasen und Wiedererkrankungen, ist das CyberKnife sehr geeignet: In sehr vielen Fällen ist CyberKnife genau so effektiv wie eine Operation, nur mit deutlich weniger Risiken und damit auch Nebenwirkungen. Auch die Behandlung der Prostata soll untersucht werden, eine entsprechende klinische Studie wird am Zentrum in Güstrow gegenwärtig vorbereitet. Die in den USA vorgelegten Ergebnisse für die CyberKnife Radiochirurgie bei Niedrig-Risiko-Prostatatumoren sind sehr vielversprechend, die Behandlungen gehen mit sehr geringen Nebenwirkungen einher. Dennoch bleibt die Radiochirurgie eine Spezialtherapie und sollte nur von Spezialisten und im Team durchgeführt werden. Eine umfangreiche Beratung ist in jedem Fall notwendig.
Erste Fortbildung in Deutschland erst 2012: Das CyberKnife Zentrum Norddeutschland führte zusammen mit den Universitätskliniken Schleswig-Holstein (Lübeck und Kiel) und Rostock die erste offizielle Fortbildung im Mai 2012 durch. Dies ist sehr erfreulich, bleibt fest zu halten, dass diese erste deutsche Fortbildung gut 18 Jahre nach der ersten CyberKnife Behandlung in den USA stattfand. Dennoch denken Prof. Jürgen Dunst und Prof. Guido Hildebrandt, „…dass dies eine richtungsweisende Fortbildung war, die die Radiochirurgie, obwohl sie schon seit 60 Jahren eingesetzt wird, in Deutschland stark verändern wird“. „Wir haben uns besonders über die große Teilnahme an dieser Fortbildung gefreut und nehmen positiv zur Kenntnis, dass derzeit eine gute Stimmung bezüglich der Radiochirurgie in Deutschland herrscht“, so die beiden Professoren weiter.